21.3.2019 blackout

Ich bin 1979 geboren, war also 10 Jahre alt, als 1989 die Wende kam, war 10, als Tim Barners-Lee die Hypertext Markup Language entwickelte. Ich habe zu der Zeit BASCI programmiert, auf einem Robotron 1715 …

Ich habe noch während der Schulzeit Turbo Pascal programmiert und habe mit TP3 angefangen und bis 7 die evolution der Sprache mitgemacht. Sogar Turbo Pascal für Windows und Delphi habe ich ausprobiert. Allerdings hatte ich auch HTML kennengelernt und habe festgestellt, dass DAS genau der Weg für die Zukunft sein muss. Die Pascal-Programme, selbst die Windows-Binaries, musste ich auf (VGACOPY sei dank) Disketten verteilen. Aber die Anwender von Marco Paint konnten ihre Bilder nicht austauschen (geschweige denn in Paint öffnen, da ich natürlich ein eigenes bild-format „erfunden“ hatte), die Texte aus Marco Tabloid (der Text-Software, die ich für meine Schülerzeitung Tintenklecks entwickelt hatte) waren ohnehin nur mit EPSON 9-Nadel-Druckern druckbar - mein Punkt ist nun aber der: dieses Internet versprach „interoperabilität“. Was A schreibt, könnte allen Usern zur Verfügung stehen. Was B schrieb könnte von A und C kommentiert werden, obgleich diese User sie nicht einmal persönlich kannten; #mind #blown - das war die Zukunft. Und sie begann genau zu diesem Zeitpunkt. Und ich konnte Teil davon werden …

Das Problem, dass man sich für das Internet per Akkustikkopler einwählen musste war für mich nur ein Übergangsphänomen. Bereits ein Jahr später hatte ich den Akkustikkoppler gegen ein Modem getauscht und zwei weitere Jahre später hatten wir ISDN und das „Internet“ blockierte nicht mehr das Telefon und dann, 1999, habe ich den ersten (A)DSL-Anschluss im Elternhaus installiert. Aber hier hatte das Internet keine Zugangshürden mehr …

1999 habe ich außerdem mit PHP & MySQL mein erstes Redaktionssystem CMS|alpha programmiert. Teile davon sind heute noch im Einsatz und ich schwanke zwischne Angst und Stolz beim Gedanke daran. Aber Content Management war (und ist) immer noch ganz klar konzeptionell in Sender > Empfänger unterteilt.

2009 habe ich auf Ruby on Rails umgesattelt und die ersten Community-Projekte für Auftraggeber realisiert. Projkete, bei denen „plötzlich“ user generated content die Basis des Geschäftsmodells darstellte. Die Spielregeln wuchsen mit dem Fortschritt und jede neue Grenze wurde durch Präzedenzfälle erstritten. Es war ganz „natürlich“, dass der User, der rechtswidriges Material in die Community einbrachte, dafür „bestraft“ wird (und im Zweifelsfall wurden Anzeigen gegen den User gelenkt), aber die Platform selbst, ist allgemein verfügbare Infrastruktur.

Dieser Infrastruktur-Gedanke ist ein wichtiger Aspekt des Internets wie wir es heute (noch) kennen. Die Telekom wird nich in Haftung genommen, weil sich Ganoven telefonisch zum Bankraub verabreden. Die Post wird nicht verklagt, weil sie Antrax-Briefe zustellt und weder Lufthansa noch Bahn werden nicht verklagt, weil Attentäter mit diesen Transportmitteln durch das Land reisen. Auch wird weder MAN noch Volkswagen dafür verantwortlich gemacht, wenn Idioten mit Fahrzeugen dieser Hersteller in Menschenmengen fahren …

Axel Voss hingegen treibt ein Gesetz vorran, das er nach eigenem Bekunden selbst nicht versteht. Er versteht auch die Aufregung nicht, denn seiner Meinung nach ist endlich die Zeit gekommen, dass die Anbieter von Infrastruktur selbst in die Haftung genommen werden. Zumindest im Internet. Wird also ein Urheberrechtsverstoß entdeckt, soll der Rechteinhaber die Plattform selbst verklagen. Eine Umkehrung aller Prinzipien auf denen unsere Gesellschaft aubaut. Man stelle sich vor Rheinmetall würde für jeden Toten haftbar, oder die Telekom würde für jede Straftat belangt, die am Telefon geplant wurde.

Während der Pressekonferenz zu Artikel 13 der geplanten EU Urheberrechtsreform sagte er, auf die Frage, ob er sich selbst erpressbar gemacht hat, durch Presse-Vertrer und Verwertungsgesellschaften: „Natürlich findet das statt. Gesetzgebung ist ein Wettbewerb, und wer seine Interessen dort nicht vorträgt, die sind dann nicht existent.“. Und hier treten gleich 2 Probleme zu Tage, zum einen die inkompetenz einzelner Politiker, zum anderen aber auch, dass gerade in der EU Politik Lobby-Getrieben ist. Wer sich nicht mit entsprechenden Anreizen an die Politiker wendet, der findet kein Gehör. Ich habe es zwar auch versucht, aber das Büro von Herrn Voss war nicht erreichbar.

Es kann und Darf nicht das Demokratie-Verständnis von Politikern sein, größtmögliches Desinteresse am Inhalt zu haben, und das zu machen, was pecuniär einflussreiche Konzerne wollen, sondern mit Sachverstand abzuschätzen, was für die Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten wichtig und richtig ist. Und Natürlich ist die EU ein Wirtschaftsstandort, der durch die Uploadfilter bedroht wird. Auch wenn Herr Voss nicht müde wird darauf zu Verweisen, dass das Wort „Uploadfilter“ nicht im Text steht. Die Menschen gehen auf die Straße und Protestieren, weil die Menschen verstehen, dass es die Konsequenz ist. Die „Schattenberichterstatterin“ Julia Reda hat auch in Interviews berichtet, wie sehr um Worte gerungen wurde, damit Uploadfilter nicht im Text stehen …

Es ist 2019. Wieder sind 10 Jahre rum. Wieder steht ein Wendepunkt in meinem Leben an. Entweder wird die Reform im EU-Parlament als ganzes Abgelehnt und wir bleiben mit dem Internet in einer Position, die nicht die Beste ist, aber es ist die Beste die wir haben. Oder wir rutschen in eine Rechts-Situation, die für die Kreativen keine Verbesserung bringt, aber für die gesammte Gesellschaft und für den Wirtschaftsstandort Europa über viele Jahre Nachteile nach sich zieht.