Klima-Guillotinen
Auf dem Weg zur Frühjahrsakademie der Mathematik in Freiberg saßen die Tochter und ich zusammen mit 2 Wissenschaftlern der Bergakademie im Zug und hatten ein interessantes Gespräch über Kippelemente und die (fehlende) gesellschaftliche Akzeptanz für notwendige (verhaltens-) Änderungen.
Ein wichtiger Aspekt ist, nach ansicht des Wissenschaftlers für Klima, dass Unverständnis davon, wie krass diese Kipppunkte sind. Man sollte sie vielleicht lieber von Klima-Guillotinen statt von Kipppunkten sprechen. Wenn das Messer fällt, ist ein unumkehrbarer Pfad eingeschlagen der unser Leben dramatisch ändern wird. Gucken wir uns diese Guillotinen einmal an:
Eisschilde
Wir haben im Wesentlichen 3 große Eisvorkommen, die durch eine höhere Durchschnittstemperatur abschmelzen. Das sind das arktische Meereis, der grönländische Eisschild und kontinentale Gletscher.
Beim Abtaunen dieser Eisschilde sind mehrere Faktoren relevant:
Das saisonale Abtauen der Gletscher im Frühling bringt Wasser ins Land und das Auffüllen der Gletscher mit neuem Schnee im Winter sorft für einen Speicher, der im nächsten Jahr wieder zur Trinkwasserversorgung taugt. Wenn keine Gletscher mehr existieren, dann kommt es zu massiven Dürren und dessertifikation. Ein anderer Aspekt ist nun aber auch, dass das süßwasser dann nicht mehr in die Ozeane fließt und damit die Thermohaline Zirkulation zum Erliegen kommen kann. Für uns in Europ heißt dass, dass der wärmende Golfstrom stillstehen würde. Das würde das Klima, insbesondere auch bei uns in Europa, massiv verändern, weil wir unsere „milden Winter“ der Wärme des Golfstroms verdanken, während auf dem gleichen Breitengrad, 1.000Km östlich in Sibiren der Winter bekanntermaßen etwas knackiger ausfällt. Das würde auch uns erwarten …
Der Anstieg des Meeresspiegels ist ebenfalls ein bekanntes Szenario, über das schon so viel geschrieben wurde, dass die Menschen es scheinbar nicht mehr ernst nehmen. Weil man sieht das Meer hier ja nicht.
Die Eis-Albedo-Rückkopplung ist auch einfach erklärt: weißes Eis reflektiert Sonnenlicht ins Weltall zurück, grauer Fels erwärmt sich und führt dabei zu einer stärkeren erhöhung der Umgebungstemperatur.
Und dann gibt es noch einen Rückschlag-Effekt. Um 1Kg 0°C kaltes Eis in 0°C kaltes Wasser zu verwandeln, braucht man sehr viel Energie. So viel Energie, wie man brauch, um 1L 0°C kaltes Wasser auf 80°C aufzuheizen. Das heißt, dass das Schmelzen unfassbar viel Energie im Phasenübergang umwandelt. Wenn aber kein Eis mehr da ist, dass in Wasser umgewandelt werden kann, dann wird diese Energie trotzdem jede Sekunde weiter auf den Planeten eingestrahlt und dann wird der Klimawandel exponentiell schnell vonstatten gehen. Und das wird viel zu schnell für 90% der Spezies auf diesem Planeten sein …
Wind-Systeme
Es gibt nicht nur die Thermohaline Zirkulation, sondern eben auch (noch) stabile Wind-System, wie der indische und westafrikanische Monsun. Druckunterschiede zwischen Land und Ozean führen zu Wind-Systemen, die Wasser transportieren und einen direkten Einfluss auf die Vegetation haben - nicht nur, weil Wasser für das Pflanzenwachstum direkt notwenig ist, sondern auch weil Wasser immer auch Kühlung bedeutet. Neben den Monsunen gibt es auch zyklische Wetter-Phänomene wie der El Niño Southern Oscillation (ENSO) und der umgekehrte Zustand (La Niña). Diese Wind-Systeme haben einen direkten Einfluss auf die borealen Wälder, also nahezu die gesamte Vegetation der nördlichen Halbkugel.
Wir kennen alle die großen äquatorialen Wälder Südamerikas, die „Grüne Lunge“ des Planeten, den Amazonas-Urwald. Aber wenn wir uns Südafrika ansehen, und das mit den Wäldern der nördlichen Hemisphäre vergleichen, dann sehen wir, dass wir vor einem viel größeren Problem stehen …
Methan- und CO₂-Freisetzung
Auf den Kontinenten gibt es in verschiedenen Breiten so genannten „Permafrostboden“, welcher große Mengen an Methan gespeichert hat. Methan ist allerdings pro Molekül 28-mal so klimawirksam wie CO₂ - man spricht hier von CO₂-Äquivlatenten (kurz CO₂e). Wenn der Boden nun taut, dann wird dieses Methan freigesetzt.
Das gleiche Problem haben wir mit Wasser. Wasser kann nämlich echt gut CO₂ speichern. Wer schon mal so einen Wasser-Sprudler genutzt hat, weiß das. Und wer seine Limmo schon mal über Nacht offen hat stehen gelassen, weiß, dass das am nächsten Tag nicht mehr sprudelt. Weil Wasser nicht nur CO₂ speichern kann, sondern auch wieder abgeben kann - und zwar wenn es wärmer wird. Das ganze nennt sich CO₂-Löslichkeit und wenn das Wasser kein CO₂ mehr aufnehmen kann, weil es zu warm wird, dann gibt es das CO₂ wieder ab. Und zwar an die Luft. Also unsere Atmosphäre.
Wenn die Ozeane heißer werden, dann werden sie millionen Tonnen CO₂ freisetzen, was zu einer weiteren Erhitzung der Atmosphäre führt wodurch noch mehr CO₂ ausfällt …
Die Sache mit der Bahn
Im Verlauf des Gesprächs platzte die Durchsage „nächster Halt: Freiberg“ in den Redefluss und ich guckte etwas panisch auf die Uhr um eine Verabschiedung einzuleiten; der Wissenschaftler nahm das Gespräch wieder auf und sagte etwas wirklich witziges, in etwa so:
Wir haben Zeit. Ich muss in Freiberg auch raus - aber wir fahren Jetzt noch eine ganze Weile. Aber. Die Bahn ist ein gutes Beispiel für Kippunkte. Sie kommen mit dem Zug von Britz nach Berlin, steigen in den Zug nach Dresden und dann in einen weiteren Zug nach Freiberg. Der Anschlusszug ist aber ein Kipppunkt. Ihre Reise ändert sicht dramatisch, wenn sie in Dresden in den falschen Zug steigen, oder der Zug von Berlin so spät eintrifft, dass der Zug nach Freiberg schon abgefahren ist, wenn Sie ankommen. Der Kipppunkt ändert den Verlauf der „vorhergesehenen“ Reise. Die Spielregeln sind aber nicht klar, denn es ist Ihre Entscheidung, wie es dann weitergeht. Mit Zugbindung zahlen Sie für den nächsten Zug drauf. Ohne Zugbindung verlieren Sie Zeit. Wenn Sie einen wichtigen Termin haben, weichen Sie ggf. auf ein anderes Verkehsmittel - höchst warscheinlich ein gelbes Auto aus. Wenn der Golfstrom zum erliegen kommt, ist die Reise unweigerlich zuende …
Irreversible Pfade
Was die Menschen nicht verstehen, sind die irreversiblen Pfaden beim Klimawandel. Wenn das Eis weg ist, ist das Eis weg. Wenn der Golfstrom zum Erliegen kommt, haben wir Menschen keine Möglichkeit, diesen wieder in Gang zu bringen. Es gibt keine Technologie, mit der wir Menschen die Wind-Systeme am Laufen halten können. Es sind globale Klima-Mechaniken und wir Menschen streuen Sand in dieses Getriebe. Unser metaphorischer Sand ist das CO₂-Äquivalent fossilen Ursprungs - welchen wir Menschen in den wenigen zurückliegenden Jahrzehnten aus dem Boden holen und durch Verbrennung wieder in die Atmosphäre entlassen.
Dieser Anstieg muss sofort beendet werden. Es muss eine Notbremse geben. Eine Vollbremsung. Und das muss ein gesamtgesellschaftlicher Konsens werden.
Es dreht sich im Kreis: die Regierungen warten auf den gesellschaftlichen „Konsens“ und die Gesellschaft wartet auf Rahmen- und Leitlinien durch die Regierungen.
Ungeduldige, wie wir, machen was möglich ist und die Frustration über die Bremser-Partein, wie CDU/CSU oder aktuell SPD und FDP …
Klima-Kleber
Schon in den 1990er Jahren habe ich für WWF und GreenPeace Flyer in Briefkästen gesteckt, habe Plakate gemalt und für den Erhalt des Regelwalds und ein Ende der Atomenergie demonstiert. Aber mit FridaysForFuture gibt es seit einigen Jahren „endlich“ eine Weltweite Jugend-Bewegung von Menschen, die für den Erhalt „ihres“ Planeten und der Lebensgrundlage für die künfitgen Generationen demonstrieren.
Irrsinnigerweise werden diese Bewegungen von der Politik diffarmiert. Wenn Bauern die Autobahnen und die Berliner Innenstadt blockieren, gibt es keinen gesellschaftlichen Aufschrei, aber wenn Jugendliche sich an die Straße kleben, um einen gesellschaftlichen Diskurs zu erzwingen, dann werden diese Akktivistïnnen von der CSU sofort und ohne Anklage ins Gefängniss gesteckt.
Ich finde es beschämend, insbesondere von den christlichen Parteien, dass die Sorgen der jungen Generation nicht ernst genommen werden. Statt die „Schöpfung zu bewahren“ wird mit Gas- und Öl-Politik eine Industrie weiter gestützt, welche das Klima massiv schädigt: Autobauer, Kraftwerksbetreiber, Massentierhaltung, …
Am 3.3.2023 findet wieder ein globaler Klimastreik statt und inzwischen liegt der 6te Sachstandbericht des IPCC vor und trotzdem verteidigen die Politikerïnnen die Klimaschädliche Politik und weigern sich notwendige Maßnahmen wie Windkraft- und PV-Ausbau zu beschleunigen.
Geht auf die Straße
Mehr kann ich nicht sagen: geht auf die Straße! Geht demonstrieren! Zeigt den Politikerïnnen, dass das Klima das wichtigste Thema unserer Zeit ist. Ja, der Russische Krieg gegen die Ukraine ist eine Katastrophe, aber die Politik muss Multi-Tasking realisieren: das Notwendige gegen den Klimawandel muss mit maximaler Energie vorangetrieben werden und ebenfalls müssen wir unserer Verantwortung gerecht werden und die Ukraine unterstützen. Russland muss diesen von Russland begonnenen Angriffskrieg verlieren. Und wir Menschen, müssen unseren Angriffskrieg gegen den Planeten auch unverzüglich einstellen - denn ansonsten verlieren wir. Physik verhandelt nicht …
Kommentare
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